Sind die Kaufpreise den Kaufpreissammlungen der Gutachterausschüsse zu entnehmen?
Der neueste Entwurf der Vergleichswertrichtlinie weist in Nummer 3.1 darauf hin, dass Kaufpreise den Kaufpreissammlungen der Gutachterausschüsse für Grundstückswerte zu entnehmen sind. Das gleiche gilt für Vergleichsfaktoren. Auch diese sind gemäß Nr. 5 der Vergleichswertrichtlinie vorrangig von den Gutachterauschüssen zu beziehen.
Der aktuelle Entwurf der “Richtlinie zur Ermittlung des Vergleichswerts einschließlich der Ermittlung des Bodenwerts (Vergleichswertrichtlinie – VW-RL)” vom 15. Februar 2013 regelt zur Herkunft der Vergleichskaufpreise in Nr. 3.1 Abs. 1, dass zur Ableitung von Vergleichspreisen die Kaufpreise den Kaufpreissammlungen der Gutachterausschüsse für Grundstückswerte zu entnehmen sind.
Kaufpreise aus anderen Datensammlungen können gemäß Nr. 3.1 Abs. 2 nur “hilfsweise oder zusätzlich” herangezogen werden, wenn sie hinsichtlich Aktualität, Vollständigkeit der Beschreibung der Vergleichsgrundstücke und Repräsentativität den maßgeblichen Grundstücksmarkt zutreffend abbilden.
Das gleiche gilt für Vergleichsfaktoren und ausgleichende mehrdimensionale Schätzfunktionen. Diese sind gemäß Nr. 5 der VW-RL entsprechend Nr. 3.1 der VW-RL “vorrangig” von den Gutachterausschüssen zu beziehen.
Auch zur Bodenwertanpassung ist gemäß Nr. 3.2.3.2 und Nr. 3.2.3.3 “in der Regel” auf Umrechnungskoeffizienten zurückzugreifen, die vom zuständigen Gutachterausschuss oder anderen Gutachterausschüssen für vergleichbare Gebiete abgeleitet wurden.
Was meint die Richtlinie mit “hilfsweise”?
Mögliche Interpretationen:
- Kaufpreise aus anderen Datensammlungen können anstelle von Kaufpreisen aus den Kaufpreissammlungen der Gutachterausschüsse herangezogen werden… (Das würde bedeuten, der Sachverständige hätte die Wahl. Die Kaufpreise aus anderen Datensammlungen wären grundsätzlich gleichwertig mit den Kaufpreisen aus den Kaufpreissammlungen der Gutachterausschüsse.)
- Kaufpreise aus anderen Datensammlungen können zur Not herangezogen werden… (Das würde bedeuten, dass vorrangig die Kaufpreise von den Gutachterausschüssen zu beziehen seien. Die Kaufpreise aus den Kaufpreissammlungen der Gutachterausschüsse wären also den Kaufpreisen aus anderen Datensammlungen grundsätzlich vorzuziehen.)
Aus der Regelung zur Herkunft der Vergleichsfaktoren in Nr. 5 der VW-RL (“Vergleichsfaktoren … sind entsprechend Nummer 3.1 vorrangig von den Gutachterausschüssen zu beziehen.”) ist zu schließen, dass wohl die 2. Interpretation zutreffend ist. Das bedeutet, in jedem Einzelfall wäre zu prüfen, ob der zuständige Gutachterausschuss oder andere Gutachterausschüsse für vergleichbare Gebiete geeignete Kaufpreise, Vergleichsfaktoren und Umrechnungskoeffizienten bereit stellen können. Nur wenn dies nicht möglich ist, könnte auf andere Datensammlungen ausgewichen werden.
Die Richtlinie schießt deutlich über’s Ziel hinaus!
Damit geht der Entwurf der Vergleichswertrichtlinie deutlich weiter als die ImmoWertV. Die ImmoWertV regelt nur die Anforderungen, die an die herangezogenen Vergleichskaufpreise, Vergleichsfaktoren und Umrechnungskoeffizienten zu stellen sind. Die Herkunft der Daten wird nicht geregelt.
Warum auch? Warum soll in jedem Einzelfall der Gutachterausschuss mit einer Datenanfrage belastet werden? Sind die Gutachterausschüsse überhaupt für die Flut an Anfragen ausreichend personell ausgestattet? Warum soll der Sachverständige nicht auf seine eigene, womöglich über Jahrzehnte aufgebaute und gepflegte Datensammlung vorrangig zugreifen dürfen? Warum sollen große Institutionen (Banken, Gemeindeverwaltungen etc.) nicht vorrangig auf die eigenen Transaktionsdatenbanken zugreifen?
Kaufpreise aus eigenen Datensammlungen sind oft die erste Wahl!
Geht die Arbeitsgruppe, die den Entwurf der Richtlinie erstellt hat, wirklich davon aus, dass die Kaufpreise aus den Kaufpreissammlungen der Gutachterausschüsse grundsätzlich besser geeignet sind als die Kaufpreise aus anderen, z.B. eigenen Datensammlungen? Dies, obwohl die Objekte in den eigenen Datensammlungen der Sachverständigen oft kaufzeitpunktnah von innen und außen besichtigt wurden und den Sachverständigen sämtliche wertrelevanten Informationen zu diesen Objekten vorliegen. Der Gutachterausschuss kann hingegen die wertrelevanten Merkmale der verkauften Objekte oft nur lückenhaft erkunden. So verschickt er hierzu Fragebögen an Laien, besichtigt die Objekte oft erst ein oder zwei Jahre nach Verkauf – also zu einem Zeitpunkt, zu dem der Käufer ggf. schon modernisiert hat. Außerdem wird oft nur von außen besichtigt.
Gemäß Nr. 3 der VW-RL sind Kaufpreise zur Ableitung der Vergleichspreise geeignet, wenn diese hinsichtlich ihrer wertbeeinflussenden Grundstücksmerkmale (§§ 5 und 6 ImmoWertV) mit dem Wertermittlungsobjekt hinreichend übereinstimmen und nicht nach § 7 ImmoWertV unberücksichtigt bleiben müssen. Ob die Übereinstimmung gegeben ist und somit die Kaufpreise geeignet sind, kann der Sachverständige am besten beurteilen, wenn er die Vergleichsobjekte kennt und ihm alle wertrelevanten Merkmale zu diesen Objekten bekannt sind. Dies ist i.d.R. nur bei Kaufpreisen aus der eigenen Datensammlung uneingeschränkt gegeben. Insofern sind diese Kaufpreise für ihn die erste Wahl und für eine ImmoWertV-konforme Marktwertermittlung am besten geeignet.
Was will die Richtlinie eigentlich?
Will man mit der Richtlinie den Bewertungsprozess in Bundesbehörden standardisieren? Dann würde es Sinn machen, den einzelnen handelnden Personen Leitplanken zu setzen und die Herkunft der Daten im Sinne einer Prozessoptimierung zu regeln.
Oder will man einen allgemeinen Standard setzen, der – wie in Nr. 1 Abs. 4 der VW-RL geregelt – für alle in der Grundstückswertermittlung Tätigen gelten soll? Also auch für hoch qualifizierte Sachverständige, die in der Lage sind zu prüfen, ob die auch aus anderen Datenquellen herangezogenen Kaufpreise, Vergleichsfaktoren und Umrechnungskoeffizienten im Sinne der ImmoWertV geeignet sind.
Letzteres ist wohl der Fall.
In einigen Bundesländern wird der Zugriff auf die Kaufpreise in den Kaufpreissammlungen der Gutachterausschüsse durch Landesverordnungen eingeschränkt. Oft haben nur Behörden, öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige und zertifizierte Sachverständige uneingeschränkten Zugang zu diesen Daten. Wenn sich die Richtlinie an alle in der Grundstückswertermittlung Tätigen richtet, dann muss sie diese Einschränkungen berücksichtigen und den Sachverständigen, die keinen ausreichenden Zugang zu den Daten der Gutachterausschüsse haben, eine gleichwertige Alternative eröffnen.
Die Richtlinie sollte ImmoWertV-konform ausgestaltet werden!
Wenn sich die Richtlinie an alle in der Grundstückswertermittlung Tätigen wendet, sollte sie ImmoWertV-konform ausgestaltet sein. Sie sollte die Regelungen der ImmoWertV erläutern und weiter ausfüllen. Keinesfalls sollte sie über die Regelungen der ImmoWertV hinaus gehen. Dies ist jedoch im Entwurf der Richtlinie derzeit der Fall.
Empfehlungen
Der Charakter der Richtlinie (Hinweise, nicht bindend) sollte sich auch in der entsprechenden Wortwahl niederschlagen. Anstelle von Muss-Vorschriften sollten Soll-Vorschriften aufgenommen werden. Dann würde z.B. Nr. 3.1 Abs. 1 Satz 1 VW-RL lauten: “Zur Ableitung von Vergleichspreisen sollen die Kaufpreise den Kaufpreissammlungen der Gutachterausschüsse für Grundstückswerte entnommen werden.”
Die Verwendung der Daten sollte – wie in der ImmoWertV geregelt – nur von der Eignung und nicht von der Herkunft abhängig gemacht werden. Dann würde z.B. Nr. 3.1 Abs. 2 VW-RL in Anlehnung an die Regelung in § 15 Abs. 2 ImmoWertV lauten: “Neben oder anstelle von Kaufpreisen aus den Kaufpreissammlungen der Gutachterausschüsse können geeignete Kaufpreise aus anderen Datensammlungen herangezogen werden. Kaufpreise sind geeignet, wenn …”
Download des aktuellen Entwurfs
Den Entwurfsstand der Vergleichswertrichtlinie vom 15.02.2013 finden Sie hier.
Ausblick
In der in Kürze erscheinenden Ausgabe 1/2013 der Fachzeitschrift “immobilien & bewerten” wird der aktuelle Entwurfsstand der Vergleichswertrichtlinie ausführlich dargestellt und besprochen.